Monday 21 November 2011

Singende Sterne

Am Freitag Abend war ich (nach dem Ballett "Romeo und Julia" im Januar) zum zweiten Mal im London Coliseum, diesmal als Gast der English National Opera (ENO). Aufgeführt wurde "Castor und Pollux" - eine Oper von Rameau. Deutschland hatte zur Barockzeit Bach, England hatte Händel und Frankreich hatte Rameau. "Castor und Pollux" ist die Geschichte von Jupiters Zwillingssöhnen, die hier vertont wurde. Mutig - oder naiv? - ging ich rein, ohne mich vorher auch nur im Geringsten über die Oper oder deren Handlung informiert zu haben (dass es eine Barock Oper ist, war Ansporn genug für mich). Irgendwie ging das unter und dann war es plötzlich zu spät. Aber das ist bei der ENO kein Problem - gesungen wurde nämlich auf Englisch und dazu gab es auch noch englische Übertitel.

Ganz so futuristisch sah's im Coliseum dann doch nicht aus (Bild vom Flyer)

Um was es geht? Nun, es gibt vier Hauptcharaktere: neben Castor und Pollux spielt das Schwesternpaar Telaïre und Phebée eine wichtige Rolle. Pollux ist der unsterbliche Sohn, der auf Erden regiert und mit Telaïre verlobt ist. Doch Telaïre liebt Castor und er liebt sie. Dieser hat kurzerhand Phebée für Telaïre verlassen. Große Tragödie? (Noch) nichts da! Der edelmütige Pollux will, dass sein Bruder glücklich ist und löst seine Bindung mit Telaïre, damit die beiden Liebenden zusammen glücklich sind. Das passt Phebée aber ganz und gar nicht, sie hat nämlich darauf gehofft, dass Castor wieder zu ihr zurückkehren wird, sobald Pollux und Telaïre verheiratet sind. Kurzerhand holt sie den Erzfeind ins Land und "ermuntert" ihn, Castor zu ermorden. Dies gelingt und Pollux - vor Trauer außer sich, rächt sich und tötet den Feind.

Dramatische Kampfszenen auf der Bühne (während deren übrigens nicht gesungen wurde, sondern das Orchester allein gespielt hat): Pollux hat seinen Todfeind im Schwitzkasten

Doch hier endet die Geschichte nicht: Pollux bittet seinen Vater (Jupiter), Castor wieder zum Leben zu erwecken. Doch das liegt (dummerweise) nicht in Jupiters Macht. Also muss Pollux selbst in die Unterwelt stiefeln und Castor befreien. Als Pfand muss er aber seine Unsterblichkeit aufgeben und Castor's Platz in der Unterwelt einnehmen. In seiner unendlichen Bruderliebe macht er das natürlich auch. Phebée hat übrigens in der Zwischenzeit ein schlechtes Gewissen und begibt sich - von ihrer Schwester Telaïre ermutigt - selbst in die Unterwelt um Castor zu befreien (was ihr nicht gelingt - sie stirbt dort unten und hat dann nur noch zum Schluss als nicht-singende Leiche einen Auftritt auf der Bühne).

Trotz Bruderliebe sind harte Entscheidungen zu treffen - das ist nicht immer einfach! (links Pollux, rechts Castor)

Doch Castor will nicht mit dem Wissen von Pollux in der Unterwelt auf der Erde bleiben und verabschiedet sich (dramatisch singend) von Telaïre. Der passt es natürlich ganz und gar nicht,  dass sie sich schon wieder von Castor verabschieden muss. Jupiter sorgt schließlich für ein fast-Happy End: Castor und Pollux dürfen beide als Sterne vom Himmel scheinen und überdauern so die Ewigkeit. Also rieselt zum Schluss Goldstaub auf die Bühne hinunter (sinnbildlich für die zwei strahlenden Sterne) und Telaïre verbleibt als Einzige auf Erden unter den Lebenden...

Telaïre vor Castor-Stern, sozusagen

Die Inszenierung war - wie die Bilder schon ahnen lassen - sehr modern und minimalistisch. In einem Holzkasten hat das ganze gespielt, die Darsteller (inklusive Chor) trugen meistens graue Anzüge. Eine Barock Oper ist rein musikalisch ganz anders als zum Beispiel die Aïda, die ich vor ein paar Monaten im Royal Opera House gesehen habe. Bei Arien wurden die Sänger meistens nur vom Cembalo und Basso Continuo begleitet. Das Cembalo wurde in der Pause übrigens gewissenhaft nachgestimmt. Das Orchester hatte aber seine eigenen Momente, Rameau baute nämlich einige Tanzszenen ein, wo nicht gesungen wurde, da kam die Musik sehr schön zur Geltung.
Eine Kritik kann und möchte ich hier nicht abgeben - dafür hab ich viel zu wenig Opernerfahrung. Mir hat der Abend aber sehr gut gefallen und nach der Pause, als einige Zuschauer bereits nach Hause gegangen sind, war die Sicht aufs Geschehen sogar noch besser.


Ich kann es nicht lassen: die Schlussszene hat mich unweigerlich an ein Bild aus dem Struwelpeter-Geschichtsband erinnert: nämlich dort, wo das Mädchen mit den Zündhölzchen spielt und lichterloh brennt, bis nur noch ihre Schuhe und ein Häufchen Asche übrig sind. Auf der Bühne war es natürlich (frühweihnachtlicher) Gold-und-Silber-Glitzer ;-)




2 comments:

  1. Gerade jetzt, im Zeitalter von OWS hätte ich mit allerdings als Staffage etwas anderes als engliche Businessmen aus dem Bankenviertel vorgestellt — zumal das ja griechische Götter und Halbgötter sein sollen ... :) :(

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  2. Was ich so herausgefunden habe, wurde Inszenierung von vielen Kritikern bemängelt. Die Hauptdarsteller seien aber (gesangstechnisch) sehr gut gewesen...

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